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Feminismus Film

Berlinale – Mutige Frauen und weinende Männer

Die 70. Berlinale mit neuem Leitungsduo war geprägt von vielen starken, aber auch schwachen weiblichen Charakteren und von vernachlässigten, sich selbst überlassenen Kindern und Jugendlichen. Es gab viele mutige, ernste Filme, die die Konfrontation nicht scheuen und die heutige Gesellschaft kritisieren. Weniger Hollywood Glamour als sonst, dafür mehr Realismus.

Im Wettbewerbsbeitrag „Never Rarely Sometimes Always“ der amerikanischen Regisseurin Eliza Hittman, die den silbernen Bären Großer Preis der Jury gewann, machen sich die 17-jährige Autumn und ihre Cousine Skylar alleine auf den Weg nach New York, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Die ungewollt schwangere Antumn ist in ihrem Kaff in Pennsylvania umgeben von desinteressierten Eltern, übergriffigen Jungs, schlüpfrigen Chefs und Abtreibungsgegnern. Für sie und ihre Cousine ist die Sache klar, sie müssen für ihr Vorhaben in die Großstadt, egal wie weit sie fahren müssen. Ohne lange zu überlegen packen sie einen Koffer und fahren mit dem Bus nach New York und zwar auf eigenen Faust, ohne fremde Hilfe und ohne zu zögern. So finden sie sich nich mal 24 Stunden später in einer Großstadt wieder, die nicht auf sie gewartet hat. Doch sie beißen sich durch, mit dem Geld, dass sie beim Jobben an der Kasse im Supermarkt gegen ekelige Handküsse mit dem Chef eingetauscht haben, bis sie ein paar Widrigkeiten später in einer Abtreibungsklinik Gott sei dank, die notwendige Hilfe bekommen, die sie brauchen.

Bewundernswert klar, stark und kompromisslos in ihrem Vorgehen und bewundernswert auch in der Darstellung – all dies geschieht fast ohne Worte. Nichts von alldem wird ausgesprochen, sie haben gelernt, dass man über gewisse Dinge nicht spricht, seine wahren Gefühle nicht zeigt und eine coole Fassade behält. Und doch ist ihnen beiden klar, was geschehen muss und darin sind sie sich einig, ohne dass es großer Kommunikation bedarf. Die Abtreibung muss vollzogen werden, egal in welchem Monat. Was sonst aus Autumn werden würde, kann man sich gut ausmalen, wenn man die Eltern betrachtet und das scheint auch ihr klar zu sein. So will sie nicht enden. Die Gesichter der beiden Mädchen sind bis hin zum Gespräch mit der helfenden und empathischen Krankenschwester in der Klinik, gleichbleibend unemotional, ernst, konzentriert. Der Fokus ist klar. Erst als der notwendige Fragenkatalog gestellt wird, der vor einer Abtreibung nötig ist, mit den Antwortmöglichkeiten: Never Rarely Sometimes Always – laufen die Tränen. Tränen auch der Erleichterung über die Frage, ob jemals körperliche Übergriffe stattgefunden hätten, die ungewollte waren und des Zwanges. In dieser Szene wird klar, dass kein Verantwortlicher in dem Leben dieses Mädchens weiß, welche schlimmen Erfahrungen sie bereits gemacht hat und sich keiner hierfür interessiert. Schweigen ist gold – nach dem Motto wird hier gelebt.

Dieser feministische Film sei dringend notwendig gewesen, sagt die Regisseurin Eliza Hitman. Und er ist wichtig in einer Welt und einem Land, in dem einem jungen Mädchen die Option auf Selbstbestimmung über ihren Körper und die Möglichkeit einer Abtreibung schlichtweg nicht so gegeben ist, wie es sein sollte. Die beiden Mädchen müssen sich in Gefahr begeben, um das zu erhalten, was ihnen zusteht – die Wahl zu haben so zu leben wie sie es wollen. Es hätte auch schief gehen können. Das Schöne an dem Film ist auch, dass er ohne große dramaturgische Wendungen daher kommt um die Spannung künstlich zu steigern. Das Gefühl der Angst und der Traurigkeit um diese beiden Mädchen, die alleine in der Großstadt unterwegs sind, in der es permanent regnet, die ihre Körper verkaufen, ihre Schönheit benutzen, um eine Ausweg zu finden, weil sie keine andere Wahl haben und zu Hause nicht vermisst werden, reicht vollkommen aus, um einen spannenden Film zu schaffen. Am Ende ist es vollbracht und man sieht sie zum ersten Mal etwas essen, ein Nickerchen machen und vor allem beim albernen Lachen, wie es Teenager tun sollten. Erleichtert, aber auch betroffen verlässt man den Kinosaal. Eigentlich eine Kandidatin für den goldenen Bären.

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