Mein Lieblingsfilm der 73. Berlinale ist „Das Lehrerzimmer“ mit Leonie Benesch und Eva Löbau in den tragenden Rollen in der Sektion Panorama. In diesem Film, der thrillerartige und kafkaeske Elemente in sich trägt, wird die Suche nach der Wahrheit zum wahr gewordenen Albtraum, als die Lehrerin Carla Nowak in Eigenregie versucht einen Diebstahl an ihrer Schule aufzudecken.
Die junge, woke und engagierte Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) tritt mit viel Idealismus und Motivation ihren ersten Job an. Als sich an ihrer Schule einige Fälle von Diebstahl häufen und einer ihrer Schüler verdächtigt wird, beginnt sie der Sache eigenständig auf den Grund zu gehen und verstrickt sich dabei mehr und mehr.
Bei dem Versuch zwischen empörten Eltern, rechthaberische Kollegen und angriffslustige Schüler zu vermitteln wird sie schmerzlich mit den starren Strukturen des Systems konfrontiert. Der Konflikt verselbstständigt sich. Wie konnte das passieren? Sie hatte es doch nur gut gemeint. Vielleicht etwas zu gut? Und was spielt das Lehrerzimmer hier für eine Rolle?
Die Kamera bleibt immer ganz dicht dran an Clara Nowak, begleitet sie auf Schritt und Tritt, zeigt den Schweiss auf ihrer Stirn, wenn sie nervös vor der Klasse steht und keiner so recht zuhören will. Welche Methoden sie anwendet, um das abzuwenden. Sie zeigt auch die Momente in denen sie alleine ist, Panikattacken auf der Toilette bekommt und immer wieder versucht sich am Riemen zu reissen. Warum müssen sich eigentlich alle so unwohl fühlen in dem Apparat Schule? Wie soll eine Lehrerin diesem Haifischbecken auf Dauer gewachsen sein?
Der Film nimmt gekonnt den Mikrokosmos Schule und somit den veralteten Bildungsapparat in die Mangel, indem er die Nöte und Zwänge der Lehrer:innen in den Fokus stellt, die Hierarchien und Machtverhältnisse kritisiert. Am Ende der Eskalation hinterlässt er verzweifelte Beteiligte und die Frage, ob sich Zivilcourage überhaupt lohnt. Die Schule kann hier als Abbild einer Gesellschaft angesehen werden, in der viel über Missstände geredet wird, sich aber grundlegend nichts daran ändert. Auch die Wahrheitsfindung oder die Wahrheitssuche ist ein zentraler Aspekt sowie die Behandlung aktueller Themen wie Fake News und Cancel Culture.
Für die Hauptrolle der jungen Lehrerin setzte sich Leonie Benesch beim Casting mit ihrem sensiblen Spiel am Ende gegen sechs weitere Schauspieler:innen durch. Die wandelbare 31-jährige drehte bereits mit Michael Haneke „Das weisse Band“ und hatte zuletzt so unterschiedliche Rollen wie in „Babylon Berlin“ und „Der Schwarm“. Bei der 73. Berlinale wurde Benesch als eine der European Shooting Stars ausgezeichnet, wo auch “Das Lehrerzimmer“ (Regie İlker Çatak) im Panorama seine Premiere feierte.
„Die Schule ist für alle eine prägende Zeit“, sagt Leonie Benesch. “Gleichzeitig ist es doch auch verlockend, in einen Film mit dem Titel “Das Lehrerzimmer“ zu gehen, weil die meisten von uns noch nie in einem Lehrerzimmer waren und sich oft gefragt haben, was da eigentlich passiert.“
Dass sie für die Rolle zu jung sein könnte, kam Leonie Benesch nie in den Sinn. Vielmehr begeisterte sie das klug geschriebene Drehbuch. “Ich glaube, “Das Lehrerzimmer“ ist ein Kommentar zu unserer Debattenkultur. Wir sehen mit Carla Nowak eine Person, die alles richtig machen will, aber immer wieder scheitert, aus unterschiedlichen Gründen. Das passiert durch ein absichtliches oder unabsichtliches Missverstanden werden. Ich frage mich, ob wir in der Diskussion darum, wer Recht hat, nicht aus den Augen verlieren, was wir mit der Diskussion anrichten.“
Der Regisseur İlker Çatak hat einen sehr spannenden, sensiblen, mitreissenden und aktuellen Film geschaffen, für den er mit dem Deutschen Filmpreis in der Kategorie Bester Spielfilm und Beste Hauptrolle zu Recht belohnt wurde und hoffentlich noch viele weitere Preise gewinnen wird. Wir drücken die Daumen!
Trailer zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=RAx_xnh1O2I